Energie in all ihren sichtbaren Formen
Florian Germann im Kunstraum Kreuzlingen und Tiefparterre
„A futuristic story of boredom, survival and friendship in an unwelcoming environment seemed an ideal film property.“
Florian Germanns Schaffen verwebt den Prozess der Materialfindung mit dessen dynamischer Transformation. Seine zurückgenommenen und klaren Skulpturen, Installationen und Konstellationen offenbaren ein dicht aufgeladenes Netz an Bedeutungen und Zuständen. Subjektive Annäherungen werden dabei mit wissenschaftlichen wie kulturgeschichtlichen Aspekten angereichert. Transluzide Imaginationen treffen auf realistische Gesetzmässigkeiten und konstruieren einen fein verzweigten Werkkomplex.
Kunst als Wahrheitsfindung: Dies ist eines der zentralen Motive in Germanns Arbeit. Kunst bezieht sich nicht nur auf sich selbst, sie referiert und kontextualisiert, sie löst aus und schafft neue Bezüge, wie ein feines Netz an unterschiedlichen Energien. Tradierte Motive werden neu geschrieben. Es entsteht eine spezifische Form, die sich aus ineinander verzweigten Gedankengängen und Haltungen bildet. Ähnlich einem Stromkreislauf, in dem sich verschiedene Elemente gegenseitig bedingen und sich nach und nach in Bewegung versetzen. Es geht folglich um Energie in all ihren sichtbaren Formen. Eine Energie der Bewegung, eine Energie von Erinnerung, eine Energie von Handlung. Und letztendlich um die entstehende Energie von Denk- und Erlebensprozessen. In seiner Arbeit sucht Germann nach eigenen Aussagen immer nach dem grösstmöglichen Energiepotenzial – in den Materialien oder in einem Ereignis.
In seinem im Frühjahr 2018 entwickelten Projekt «Die Stral», was in Früh-Neuhochdeutsch «Der Blitz» bedeutet, beschäftigt sich Germann mit eben dieser Energie, die sich im Dialog von mythologischen und naturwissenschaftlichen Fakten ergibt. Die Installation, die in der Ausstellung «Die Stral» an der Universität Zürich gezeigt wurde, erzählt vom Blitzeinschlag 1572 ins Zürcher Grossmünster.
Für den Kunstraum Kreuzlingen entsteht nun unter dem Titel «Die Stral 2» eine Weiterentwicklung des Projekts. Im Untergrund des Tiefparterres finden sich die ersten Filmarbeiten Germanns, gedreht in den 90 Jahren, mit Freunden als Hauptdarstellern, aufgezeichnet in den Strassen und Architekturkomplexen der Stadt Kreuzlingen. Im Video «NICE» spielt sich ein Terroranschlag an einer unbekannten Strassenkreuzung ab. Architektur wird «fremdbestimmt/ entführt». Das Video «Enduro – Tests and Trainings» erzählt von körperlicher Ausdauer, Formen der Entstehung körperlicher und geistiger Energien. Diese filmischen Arbeiten machen bereits die zentrale und dabei hochkomplexe Klarheit der Dinge spürbar, wie sie im späteren Schaffen von Germann so präsent ist.
Geht man vom Tiefparterre die Treppe nach oben, wird der Kunstraum betreten: eine weite blosse Fläche, die von Germann mit sicheren Gesten, Gegenständen und Geräuschen in eine theatrale Bühnen verwandelt wird. Ein in sich geschlossenes Schienensystem mit Kurven und Biegungen liegt im Raum aus. 23 Filmdollyschienen, 2,80 m hoch und 54 cm breit. Neben den Schienen finden sich Maschinen und ein Golffahrzeug im Raum. Der Künstler selbst aktiviert den Prozess, in der Reaktion der Objekte aufeinander sowie durch die eigene Einwirkung setzt Germann den Kreislauf in Gang. Die Performance wird durch elektronische Musik von Sergio Araya begleitet, der bereits in der ersten Version von «Die Stral» mit Germann zusammenarbeitete und der nun eigens für den Kunstraum eine neue Tonfolge komponierte. Klang und Bewegung konzentrieren sich zu einer industriellen Soundperformance. Die Konstellation zwischen den Objekten wird aktiviert, die sich daraus ergebenden Spannungen unterliegen einem beständigen Weiterleben.
In Kreuzlingen entsteht ein neues Universum aus Bekanntem und Erweitertem. Ein installatives skulpturales Element, das durch und mit dem Künstler selbst (und dessen Einwirkung) inszeniert und aktiviert wird. Festhaltende Skulptur und auslösende Performance erschaffen gemeinsam eine Neuschreibung in klarer Form und Bewegung.
Barbara Marie Hofmann, 2018
Fotos: © Kunstraum Kreuzlingen