„Sagen was ist, sagen, was wird“. Zur Ausstellung „Performance Schreiben“
Ausstellungstext
Kunstraum Kreuzlingen
2016

Sagen, was ist. Sagen, was wird.

Unter dem Namen »Performance schreiben: Script, Notation, Partitur « vereint Sibylle Omlin 15 internationale Performance-Künstler und macht den Kunstraum Kreuzlingen zum lebendigen Ort des Geschehens.

Performance-Kunst ist die Kunst des Bewegten. Die Distanz zwischen Künstler, Werk und Betrachter wird aufgehoben. Es geht um das Gefühl des Betrachtens, das mit dem Begreifen Hand in Hand geht. Kunst nicht nur als das, was entstanden ist, sondern als das, was entsteht, in diesem einen Moment.

Sibylle Omlin hat den Kunstraum Kreuzlingen in einen Ort des lebendigen Prozesses verwandelt. In der Vereinigung unterschiedlicher Künstler aus dem Bereich der Performance-Art schafft sie einen Raum der offenen Zugänge. Empfindungen werden expressiv, künstlerische Gedankengänge werden zugänglich gemacht.

verletzlich wehrlos; fundamental gewaltsam

Am Abend der Vernissage scheinen die ungezügelten Geister des Dadaismus im Kunstraum Kreuzlingen präsent. Die Lust zur Auslieferung, die Einbeziehung der Provokation sowie die damit einhergehende Forderung von Toleranz. Was zu sehen ist, was zu empfinden ist, muss ausgehalten werden, das verlangen die Künstler. Auf den Besucher wirken die gezeigten Akte eindeutig und klar erkennbar in ihrem eingeschriebenen Gegensatz: verletzlich wehrlos und fundamental gewaltsam zugleich. So lässt der Schweizer Künstler Christoph Rütimann einen mannshohen Kaktus singen. Hände, die sich bewegen, im rhythmischen Abkratzen von wachsbeschichteten Papieren auf Kakteenstacheln wird der Raum zum sich anstauenden donnernden Gewitter, das in harten Tönen über das Publikum hereinbricht.

Raum der/ durch Sprache

Performance lebt von ihrem Aufführungscharakter. In der bereits bestehenden Realität beschwört sie ihre eigene Wirklichkeit herauf. Eine Wirklichkeit, die geplant, erlebt und reflektiert werden soll und kann. Und die Statisten dieser Wirklichkeit sind in Omlins Ausstellungskonzept nun das Wort und die Sprache, die zwischen Künstler und Betrachter vermittelt. Denn erst durch das Sprechen über Performance wird ihre eigene Unmittelbarkeit fassbarer. Eine Performance-Kunst, die sich dem Wort geöffnet hat, ist somit offen für ihre eigene Zeitweiligkeit und Reflektierbarkeit. Sie erweitert den Moment ihrer Gültigkeit, ihres Entstehungsmoments von der Vergangenheit (der Planung) zur Gegenwart (im Akt der Performance) hin zur Zukunft als Reflektion darüber und als Schöpfung neuer Ideen. Die Rückkehr des Wortes macht die Performance-Kunst somit verletzlich und dadurch authentischer als Kunstform denn je: Sie gleicht einer Wunde, die offen zur Schau gestellt wird, die zum Empfinden und Aneignen freigegeben wird.

Belohnt wird der, der mutig ist.

Dies könnte somit das leise Einverständnis der gezeigten Performance-Projekte sein: Das Unfassbare fassbar machen. Mit dem Medium der Sprache, dem Mittel des Wortes. Dies ist das spezifische der Ausstellung: Performances, die Wege der Beschreibung miteinschliessen.

So inszenieren Petra Koehle und Nicolas Vermot-Petit-Outhenin die Wiederholung einer akustischen Einmaligkeit, in dem sie ein live gespieltes Musikstück aufnehmen und es durch die Aufnahme in eine ständig abrufbare Partitur verwandeln. Das schriftliche Festhalten eines Bewegungsprozesses ist es währenddessen, was Esther Ferrer den Besuchern offenbart: In einem Buch finden sich gesammelte Aufzeichnungen begangener Performances. Die Besucher selbst sind nun eingeladen, diese in eigener Weise zu realisieren und dadurch etwas Neues entstehen zu lassen. Eine der direktesten Erfahrungen der Ausstellung birgt Davors Ljubicics Performance-Aufzeichnung. Auf überdimensionalen Papierbögen skizziert er in harten Strichen eine Performance-Szene: Zwei Männer, einer davon vor dem anderen kniend. Der Stehende hält den Kopf des Unteren, am Hals des Mannes liegt ein Messer, bereit um dessen Kehle aufzuschneiden. Um die Männer herum hat Ljubicic in Handschrift akribisch genau den weiteren Vorgang der Performance niedergeschrieben. Ein Tod, der schriftlich angekündigt, statt visuell gezeigt wird. Die Worte alleine sind es hier, die auf den monströsen Charakter der Szenerie verweisen, die in der Realität noch nicht stattgefunden hat.

Die gezeigten Performances der Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen fordern die Besucher somit heraus: Sie verlangen ihren körperlichen Einsatz wie auch ihr emotionales Durchhaltevermögen. Doch belohnt wird der, der mutig ist.

Barbara Marie Hofmann, 2016


>Dieser Text ist auch erschienen auf der Plattform ApresPerf.